- Kapitel 7 -

 

Leineweber und Soldat !

 

«Hallo alter Revolutionär und Schwerenöter ziehst du heute Abend auch ins Gefecht?» Heinrich Friedrich Ludwig Rosenplänter, Sohn des früh verschiedenen Soldaten und Leinewebers Georg Heinrich Ludwig begrüßte jovial den alten Soldaten und Revolutionär Georg Heinrich Rosenplänter aus den 30er Jahren, eine kleine Berühmtheit im Ort Waake.

«Natürlich, was meinst du was heute Abend im Gasthaus abgeht. Alte Revolutionäre und gemeine Soldaten an einem Stammtisch, dazu die bewundernde Jugend der Gemeinde. Na, wer das versäumt ist Pfarrer oder Wangenheimer.»

«Bis heute Abend !»

 

Advokat und Lehrer Dr. August Freitag aus Baltimore, USA war am Vortag in Waake eingetroffen. Er hatte sich immer im Herzen eine große Sehnsucht nach seinem Heimatdorf bewahrt und geschworen, einmal noch vor seinem Tod, seine alte Heimat zu besuchen. Aber der Reihe nach, hören wir den Reisebericht von Dr. Freitag.

Bedenkend, daß ich meinem alten Magen nicht zu viel zumuthen dürfe, wendete ich meine Reise nach meiner engsten Heimath, nach meinem Geburtsort Waake. Hie kamen mir die bei uns üblichen Umzüge der wilden Thiere, begleitet von dem oberherrlichen Volk, alt und jung in den Sinn. Wo ich ging und stand, folgte mir die alte und junge Jugend; aus den Fenstern streckten sie die Köpfe. Ruf: "Freydogs August is wehr da" (Freitags August ist wieder da) und, was mir am rührendsten war: "hei sprekket noch wakkesch" (er spricht noch die Mundart seines Geburtsortes). Es war gerade Kirmesse und Nachts wurde mir ein musikalisches Willkommen gebracht. Ich bedankte mich aus vollem Herzen und versprach, solbald ich von dem obberegten goldenen Fließ etwas erhasche, nicht nur die Musikanten, sondern das ganze Dorf zu bewirthen.

 

Abends, September 1848 in einer Kneipe in Waake.

 

Rund um den alten Stammtisch saßen wie zu früherer Zeit, August und Friedrich Freitag, Heinrich Rosenplänter, Carl Rosenplänter jeweils aus Waake, neu im Bunde Heinrich Friedrich Ludwig Rosenplänter aus Diemarden.

«Und? Erzähl mal wie ist es da drüben, im entfernten Amerika, August. Nun spann uns doch nicht so auf die Folter!» Heinrich Rosenplänter rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. So neugierig war er schon lange nicht mehr gewesen.

Und Freitag erzählte nun beginnend mit der Überfahrt nach Amerika und seinen ersten Bemühungen dort Arbeit zu finden, den ganzen Abend seine kleinen Abenteuer. Die Gastwirtschaft war bis zum Bersten gefüllt und alle

 

 

 

hingen an seinen Lippen. Trotz der Fülle war es so leise das man eine Stecknadel hätte fallen hören. Nur wenn Freitag ab und an sein Bierglas auffüllen ließ, brachen die Dorfbewohner ihr Schweigen und Diskutierten das gehörte. Bis Freitag sich räusperte und weitere Geschichten zum Besten gab. Bis spät in die Nacht erzählte er vom Leben in Amerika. Dann, urplötzlich stand er auf und sagte:

«So meine lieben Mitbürger, ich bedanke mich für eure Geduld beim Zuhören, ich hoffe es hat euch ein wenig Spaß bereitet, aber jetzt muß ich ins Bett. Ich bin Müde und Morgen ist auch noch ein Tag.»

Stand auf und ging ins obere Stockwerk, wo ein Zimmer für ihn vorbereitet war.

 

Am nächsten Morgen beim Frühstück, hatte Freitag bereits wieder viele Zuhörer, und so erzählte er bis Mittag noch die eine oder andere Geschichte. Dann sagte er:

«So gerne ich auch noch geblieben wäre aber Morgen muß ich abreisen, ich habe noch den ein oder anderen Besuch zu machen, auch außerhalb Waakes. Sagt meinen Freunden Bescheid, sie können mich heute Abend ein letztes Mal sprechen.»

Dann stand er auf und vertrat sich ein wenig die Beine im Dorf.

 

Gegen Abend war das Gasthaus wieder bis zum Bersten gefüllt und August Freitag erzählte seine letzten Geschichten den aufmerksamen Zuhörern. An diesem Abend beendete er seine Erzählungen schon gegen 22.oo Uhr. Verabschiedete sich von seinen Freunden und winkte allen noch im Gasthof befindlichen Leuten zum Abschied zu. Dann ging er auf sein Zimmer und legte sich zur Nachtruhe.

 

Bereits sehr früh am Morgen verließ er in einer einspännigen Kutsche Waake.

 

Dieser Besuch hatte nachhaltige Wirkung auf die Dorfbewohner, sie hatten über Tage neuen Gesprächsstoff und Heinrich Rosenplänter der alte Revolutionär begann sich Gedanke über seine eigene Ausreise nach Amerika zu machen.

 

Einige Tage später trafen sich Heinrich und Heinrich Friedrich Ludwig im Gasthof.

«Beeindruckend nicht wahr, sehr beeindruckend!»

«Ja, ich mache mir schon die ganze Zeit Gedanken über meine eigene Ausreise. Soll ich, oder soll ich nicht ?» Wenn ich ehrlich bin, habe ich hier keine großen Chancen mehr, die von Wangenheims beziehungsweise ihre Lakaien haben auf mich und meine Familie ein Auge. Gute Verdienstmöglichkeiten werden anderen gegeben. Man schneidet mich von Seiten des Hofes.»

 

 

 

 

 

«Na, erzähl mir nicht das du damit nicht gerechnet hast. Wenn man an einem Aufstand teilnimmt und man verliert, hast du von der Siegerseite ja wohl kaum mit Ovationen zu rechnen. Du warst doch selbst Soldat, im Krieg hat der Sieger alle Rechte. Es war außerdem dumm von dir, damals an dem Aufstand teilzunehmen. Unser Familienzweig hat sich aus allem herausgehalten, wir sind nach Diemarden gezogen!»

«Und, welche Vorteile hast du daraus gezogen, keine, aber gar keine!»

«Aber auch keine Nachteile, so wie du und deine Familie!»

«Prost darauf,» und Heinrich erhob sein Glas: «Auf die Freiheit des Menschen!»

«Ja, Prosit.»

 

Früh am nächsten Morgen, sobald das Licht des Tages die Stube hell genug ausleuchtete, in der der Webstuhl stand, begann für Heinrich Friedrich Ludwig wieder der normale Arbeitsalltag. Nach dem frühen Tod seines Vaters, er war an Lungensucht gestorben, hatte er Haus und Hof in Diemarden übernommen und sich um seine Mutter und seinen jüngeren Bruder gekümmert. Er hatte wie sein Vater den Beruf des Leinewebers erlernt und diese Ausbildung auch an seinen jüngeren Bruder Andreas Justus Ludwig weitergegeben. Seine Waren hatten inzwischen einen guten Ruf und der Absatz war damit gesichert. Er arbeitete in der Regel abwechselnd mit seinem Bruder, von Morgens mit dem ersten Licht bis Abends zum letzten Lichtstrahl. Lediglich in den Wintermonaten benutzten sie zur Ausleuchtung des Webstuhlraums einfache Talglichter. Ihre Mutter verköstigte sie tagsüber und half ihnen beim Knoten und Einrichten. Ihr am Haus befindlicher Garten wurde für Kräuter und Feldfrüchte genutzt, auch zwei Apfelbäume standen darauf. Ab und an gönnte er sich einen Besuch bei seinen Freunden in Waake. Sie trafen sich dann in der ehemaligen Freitagschen Gastwirtschaft.

So vergingen einige Jahre in denen sie und ihre Freunde in Waake sich hin und wieder über Dr. Freitag unterhielten und über die Geschichten die dieser erzählt hatte. Wobei der Wahrheitsgehalt der Geschichten immer mehr verblaßte und die Phantasie immer größeren Einfluß auf diese nahm.

 

Auch Heinrich Rosenplänter und seine Familie die sich im Laufe der vergangenen Jahre immer aufsässiger gegenüber der Gutsherrschaft und dem Gutsverwalter benahm, waren mittlerweile zum brandaktuellen Dorfgespräch geworden und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. In einem Brief zwischen dem Beauftragten von Wangenheim in Hannover F. Petri und dem Gutsverwalter für Waake Ebell wird von einer nicht zu lokalisierenden Person, die eine Brandstiftung am Hab von Wangenheims, im Gut von Waake vollführte, gesprochen. Im gleichen Atemzug wird der Wunsch geäußert man möge doch darauf dringen das Georg Heinrich Rosenplänter mit seiner kompletten Familie nach Amerika ausreisen solle. Nachfolgend der Briefwechsel zwischen Hannover und Waake.

 

 

 

 

 

 

F. Petri an Verwalter Ebell, 10.3.1854

 

Ew Wohlgeboren

 

bitte ich, jede Veranlassung ergreifen zu wollen, um den Feldhüter Georg Heinrich Rosenplänter in seiner Geneigtheit zur Auswanderung nach Amerika zu bestärken, und verbinde damit die Anzeige, daß Ihre Excellenz, die Frau Gräfin von Wangenheim, zu den Kosten der Überfahrt, gern einen Beistand leisten wird.

 

Hochachtungsvollst und Ergebenst F. Petri

 

 

 

 

F. Petri an Verwalter Ebell, 19.4.1854

 

Ew Wohlgeboren

 

wollen aus der Einlage ersehen, daß der Einwohner Georg Heinrich Rosenplänter in Wake die Kosten seiner Überfahrt nach Amerika auf mindestens 300 Thaler veranschlagt und dieser Bedarf mit ihrer Angabe contrastirt, indem der Amtmann Rodewaldt nur 200 Thaler zu dem Zwecke fordert. Unter diesen Umständen ist es daher erforderlich daß die Sache genauer untersucht werde und sodann neue Vorschläge behuf Auswanderung der gedachten Familie eingereicht werden. Übrigens erklärt ihre Excellenz die erwähnte Überfahrt mit dem von Ihnen beantragten 50 Thalern gern unterstützen zu wollen.

 

Hochachtungsvollst und Ergebenst F. Petri

 

 

 

 

 

Verwalter Ebell, 30.9.1854

 

Ihro Excellenz

 

Habe ich anzuzeigen, daß der Herr Amtmann die Verhandlungen wegen Übersiedlung des Georg Heinrich Rosenplänter von hier nach Amerika jetzt zum Ende gebracht hat. Die Passage-Contracte können jeden Tag für den Abreisetermin vom 15. October abgeschlossen werden und fehlt nur noch, daß Ihro Excellenz dero kräftige Beihilfe zu diesem Unternehmen gewogentlichst

 

 

 

 

 

 

bewilligen. Durch den Herrn Amtmann Rodenwaldt sind mir die Kosten folgendermaaßen dargelegt:

 

  1. Passagegeld für 4 Personen in Gold 148 Thaler.
  2. Handgeld 20 Thaler.
  3. Reisegeld nach Bremen 10 Thaler.
  4. Von einem Newyorker Handlungshause sollen dem Rosenplänter bei seiner

Ankunft daselbst 25 Thaler überwiesen werden, damit er für den ersten Augenblick einen Zehrpfennig habe. Erforderlich sind in Summa mithin 203 Thaler.

 

Von dieser Summe zahlt der Herr Amtmann

1. aus Mitteln der Landrostei 50 Thaler

2. die Gemeinde Waake das Handgeld 20 Thaler

 

damit fehlen 133 Thaler.

 

Meine gehorsame Bitte geht nun dahin Ihro Excellenz mögten die Gewogenheit haben die runde Summe von 150 Thalern zur Übersiedelung des Georg Heinrich Rosenplänter mit seiner Frau und zwei Kindern nach Amerika gewogentlichst zu bewilligen.

 

Es ist jetzt ein ganz anderes Rechen-Exempel in dieser Sache entstanden weil:

  1. Die Passagepreise auf 148 Thaler gesunken sind.
  2. Rosenplänter sich bereit findet mit seinen zwei jüngsten Kindern und seiner Frau abzureisen, zwei ältere Töchter aber hier zu lassen und
  3. weil aus dem Hausverkauf jetzt kaum die hypothekarischen Schulden gedeckt werden können.

 

So sind nun auf der einen Seite weniger Mittel erforderlich, auf der anderen aber auch wieder weniger vorhanden. Da die Zeit bis zum 15 October zum Abschluß des Contracts nur kurz ist, so bitte ich Ihro Excellenz ganz gehorsamst mir baldmöglichst Nachricht geben lassen zu wollen, ob ich die bezeichneten 150 Thalerdem Herrn Amtmann Rodewaldt übermachen soll; Es wird auf diese Weise auch nicht bekannt werden, ob und wie weit Ihro Excellenz sich an der Sache betheiligen und dadurch vermieden, daß bald andere den Wunsch haben mögten nachzufolgen. Die sichere und zweckmäßige Verwendung des Geldes wird der Herr Amtmann besorgen.

 

Ganz gehorsamst

W. Ebell

 

 

 

 

 

 

 

 

 

F. Petri an Verwalter Ebell, 1.10.1854

 

Ew Wohlgeboren

 

erwidere ich ungesäumt auf Ihren Bericht vom 30sten v.M., wegen Auswanderung der Familie Rosenplänter nach Amerika, daß unsere Frau Principalin gern erböthig ist, daß Auswanderungs Projekt mit 152 Thalern und 2 guten Groschen zu unterstützen und erhalten Sie hierdurch die Anweisung den obigen Betrag gege Quittung dem Herrn Amtmann Rodewaldt einzuhändigen.

 

Daneben bleibt es aber noch ein dringender Wunsch der Frau Gräfin, daß auch die beiden älteren Töchter sich zur Auswanderung entschließen mögen, und beauftrage ich Sie, Sich für die Erfüllung dieses Zwecks thätig beweisen zu wollen. Ihre Excellenz wird die fehlenden Mittel, in Anhoffung, daß die Gemeinde einen verhältnismäßigen Beitrag leistet, gern bewilligen, und werden Sie daher unverzüglich das Nähere über ihre Ausrichtungen zu berichten haben. Sind Sie und der Herr Amtmann indes der Ansicht, daß die Töchter des Rosenplänter einem ehrlichen Erwerb nachgehen und Ihrer Excellenz weiterhin nicht zur Last fallen werden, so kann man sie wohl nicht zur Auswanderung zwingen. Besser scheint es indes, «daß von dem Blute des Rosenplänter nichts zurückbleibe, in dem sich etwas Gutes davon nicht präsumiren läßt,» und so versuchen Sie, was möglich ist, um sie zur Auswanderung zu drängen.

 

Hochachtungsvollst und Ergebenst F. Petri

 

 

 

 

Verwalter Ebell, 20.11.1854

 

die älteste Tochter Rosenplänter bleibt bei ihrem Großvater in Bursfelde, dem Klostervoigt., hat sich kurz entschlossen, doch nicht mitzugehen. Die Familie ist mit dem Schiff "Die Republik" nach New York gefahren. Die Töchter sind zum heiligen Abendmahl gegangen vor der Abreise, ob der Vater auch die Kirche besucht hat, kann der kurzsichtige Pastor nicht mit Bestimmtheit sagen; der Amtmann hat Rosenplänter gesagt er solle sich bei der Gräfin bedanken, wenn es ihn dazu drängen sollte. Das Rosenpläntersche Haus hat ein Einwohner von Mackenrode gekauft, namens Kahle, hat ebenfalls einen schlechten Ruf, will versuchen ihm das Haus, das er für 260 Thaler gekauft hat, für 270 Thaler wieder abzukaufen.

 

Ganz gehorsamst

W. Ebell

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verwalter Ebell, 10.7.1855

 

Pastor Kastropp hat einen Brief von Georg Heinrich Rosenplänter an seine Tochter gelesen, es geht ihm und seiner Familie gut, in New York habe sich ein Bekannter um sie gekümmert, seine Tochter sei jetzt vermietet, und auch er selbst habe lohnende Beschäftigung.

 

Ganz gehorsamst

W. Ebell

 

 

 

 

Verwalter Ebell, 25.11.1855

 

Die Tochter des nach Amerika ausgewanderten Rosenplänter hat sich im hesischen Graebenstein an einen sehr ordentlichen Mann verheiratet, dort hat sie schon drei Jahre gedient und hier zum Zwecke des Aufgebotes sehr gute Zeugnisse vorgezeigt.

 

Ganz gehorsamst

W. Ebell

 

 

 

 

 

F. Petri an Verwalter Ebell, 5.1.1856

 

Ew Wohlgeboren

 

Berichte über die Tochter von Georg Heinrich Rosenplänter, die in Bursfelde niedergekommen ist; will wissen, ob die erwähnte Person wirklich eine Ehe eingegangen oder nur im Concubinate lebt, und das Ihre Excellenz hieüber Gewißheit zu erlangen wünscht, wollen Trauschein aus Grebenstein, sie hat bei ihrem Großvater, dem Klostervoigt Lange entbunden. Da nun aber zwey Söhne des gedachten Lange zu schwerer Kettenstrafe (einer wegen Raubmordes) condemnirt sind, so ist es für Ihre Excellenz von großer Wichtigkeit, daß aus dieser schlechten familie kein Sprößling nach Wake zurückkehre.

 

Hochachtungsvollst und Ergebenst F. Petri

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Pfarrer Amelung aus Grebenstein, 11.1.1856

 

Schickt Trauschein vom 18.11.1855 und berichtet, daß das Paar vor der Trauung ein Kind gezeugt hatte, daß zufällig bei einem Besuch der schwangeren Frau bei ihrem Großvater dem Klostervoigt in Bursfelde am 20.9. geboren wurde. Conrad Ludwig Iske, Bürger und Tagelöhner, verh. Mit Wilhelmine Christiane Louise Rosenplänter, 22 1/3 Jahre alt.

Ende des siebten Kapitels

 

 

 

 


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