- Kapitel 4 -

 

Feldarbeit !

 

«Auf, auf Kinder ab auf den Boden ! Es ist Schlafenszeit !» Mutter Christina Magdalena geborene Schrader, verheiratet mit Johann Berend Rosenplänter, kurz Johann genannt, wurde langsam ungehalten. Sie hatte die jüngeren Kinder zum vierten mal ermahnt endlich ins Bett zu gehen. Die älteren Kinder zwischen 17 und 23 Jahren gingen natürlich auch nicht mehr um 7.oo Uhr Abends ins Bett. Die kleineren wollten aber auch, wie ihre Vorbilder die älteren Geschwister, länger aufbleiben und so gab es jeden Abend einen entsprechenden Disput.

«Jetzt aber gehört, was die Mutter sagt!» Johanns tiefe Stimme durchdrang machtvoll den Wohnraum in ihrem kleinen Haus. Quietschend und lärmend liefen jetzt die Kinder die schmale Treppe zum Boden des Hauses hinauf. «Und absolute Ruhe,» rief Johann noch hinterher. Ein leises Tuscheln setzte ein, aber schon erheblich gedämpfter als vorher.

«Siehst du Frau, ein Wort von mir und die Blagen sind ruhig!» Johann grinste seine Frau an.

«Wenn du wie ich jeden Tag die Kinder ermahnen müßtest, würden sie auf dich auch nicht mehr so hören !» Christina sagte es ohne jeglichen Groll. «So sind die Kinder eben. Übrigens Dein Ältester will nach Bösinghausen heiraten, er hat dort eine Liebste. Du möchtest beim Gutsverwalter ein gutes Wort einlegen, in den nächsten Wochen. »

«So, so, ich hab mich schon gefragt wann Hans Henrich aus dem Haus will, aber mit 23 Jahren ist das schon etwas früh oder Frau ?»

«Die Kinder gehen immer früher aus dem Haus, aber das ist wohl der Lauf der Dinge. Weist du noch wie Berent dein Vater getobt hat als du so früh aus dem Haus gingst.»

«Tja, das waren noch Zeiten, aber laß uns jetzt zu Bett gehen, morgen haben wir auf dem unteren Bachfeld Handdienst für die von Wangenheims zu leisten, die Glocken haben um halb sieben, zweimal geläutet du weißt was das heißt.»

«Wen willst du denn mitnehmen? Johann Conrad ?»

«Nein auf keinen Fall, der soll unseren eigenen Roggen einbringen zu-sammen mit Hans Henrich und den Kleinen. Ich nehme unseren dritt ältesten mit, Johann Berend, er hat noch keine Erfahrung beim Handdienst und es wird dafür höchste Zeit. Ich werde ihm Morgen eine kleine Lektion in Sachen Handdienst erteilen, die wird er sich sicherlich für sein Leben merken.» Johann grinste.

Die beiden machten sich für die Nacht zurecht und gingen in ihren Schlafraum.

«Gute Nacht Johann.»

«Ja, Gute Nacht Christina, schlaf gut und träume was schönes.»

 

 

 

 

 

 

Die Kötner und Brinksitzer hatten im Gegensatz zu den Voll- beziehungsweise Halbbauern Handdienste zu leisten. Ihre Höfe durften sie an ein Kind vererben, mußten also den Hof nicht teilen, wie das im Süddeutschen Raum üblich war. Dort führte die Hofteilung dann auch zur verheerenden Armut, weil immer weniger Land immer mehr Menschen ernähren mußte. Im Norddeutschen Raum wo dies nicht so war, mußten also nachgeborene Geschwister vom Hof herunter, ein Handwerk erlernen, sich auf dem Hof als Knecht bzw. Magd verdingen oder eine sonstige gewerbliche Tätigkeit aufnehmen. Ein Basiseinkommen wurde oft durch den am Haus befindlichen Garten erwirtschaftet. In diesen Gärten wurden oft Kräuter und Feldfrüchte angebaut. Als Obstbäume waren in der Regel Apfel und Kirsche zu finden. Aber auch Birnenbäume und Quitten fand man sehr häufig.

Gewerblich durchsetzte Kleinbauerngebiete hatten in der Regel einen Teilerwerb im Bereich der Textilproduktion, Hilfstätigkeiten im Fuhrgewerbe oder Handwerk.

1770 n. C. hatte Göttingen, knapp eine Stunde von Waake entfernt, eine Einwohnerzahl von 9000 Menschen erreicht. Bedingt durch die schlechten Sommer, die völlig durchnäßten oder zu trockenen Frühlingsmonate sank der Verkauf der Roggen und Weizenmenge im Zeitraum um knapp die Hälfte. 1772 betrug der Preis für Getreide bereits das 3,1 fache vom Preis der Jahre 1765-69. Die Eheschließungen gingen durch die hohe wirtschaftliche Belastung in den frühen 1770er Jahren um die Hälfte zurück. Die Zahl normalisierte sich erst wieder, als die Preise für Getreide in den nachfolgenden Jahren auf den normalen Kostenstand vor 1770 zurück gingen. Diese Krise veranlaßte die Ratsherrn der Stadt Göttingen Getreide von auswärts in die Stadt bringen zu lassen, dazu wurde ein Gewerkhaus angemietet. Um die Bettelei in der Stadt einzuschränken, die bereits enorme Ausmaße angenommen hatte, wurde Getreide kostenlos an das verarmte Volk verschenkt. Sicherlich auch mit dem Hintergedanken Volksunruhen bereits im Vorfeld zu unterbinden.

 

 

Um 4 Uhr am nächsten Morgen war die Familie wieder auf den Beinen. Fürs waschen, anziehen und frühstücken brauchte die zwölf köpfige Familie fast eine Stunde. Um fünf Uhr läutete die Glocke der Kirche ein weiteres mal mit einem Doppelschlag.

«Auf, auf.» Johanns Stimme erscholl laut durch das Haus. «Johann Berend komm, wir müssen uns auf den Weg machen, um sechs Uhr müssen wir auf dem Feld sein.»

«Ich bin schon da Vater, wir können.»

 

Beide machten sich auf den Weg zum Feld des Gutes, das heute abgeerntet werden sollte. Es war Roggenschnitt. Die Kirchglocke hatte mit dem zweimaligen Läuten angezeigt das zwei Personen aus dem jeweiligen Haushalt für zwei hintereinander folgende Tage zur Verfügung stehen sollten, so verlangte es das Gesetz von den Handdienstpflichtigen in Waake. Unterwegs trafen sie noch andere handdienstpflichtige Dörfler und in lockeren Gruppen gingen sie zum bestellten Feld um ihrer angeforderten Arbeit nachzugehen.

Nach der allgemeinen Begrüßung durch den Gutsverwalter wurden die Arbeiter in Gruppen aufgeteilt und ihren entsprechenden Tätigkeiten zufolge eingesetzt. Es wurde von sechs Uhr bis acht Uhr geschnitten. Dann erfolgte die erste übliche Frühstückspause in der es auch ausreichend Coffent gab.

 

Johann ging kauend auf seinen Sohn zu. «Na Johann Berend, wie gefällt es dir ?»

Johann Berend blickte seinen Vater an und sagte: «bis jetzt ist alles in Ordnung, wollen wir mal abwarten wenn der Tag vorbei ist.»

«Gut gesprochen mein Sohn, dann bis nachher.» Sein Vater gesellte sich einer anderen Gruppe zu, in der dem Coffent gut zugesprochen wurde.

«Hallo Freitag, wie geht es, was macht die Familie?»

«Danke Rosenplänter, es geht.»

»Ich mußte gerade an eine Episode vor zehn Jahren denken, als ich dich so kauen sah.» Freitag lächelte seinen Nachbarn an.

«Erzähl, was meinst du.»

«Na der siebenjährige Krieg und du standest wie heute da, kauend wie eine Kuh beim wiederkäuen, und plötzlich standen die Franzosen mit ihren Büchsen und den Spießen vor uns. Wie sie komisch sprachen, gestikulierend herum liefen und brüllten. Keiner Verstand was sie wollten, es war bedrohlich und gleichzeitig urkomisch. Dann endlich kam der Gutsverwalter und sprach mit ihnen.»

«Ja, ich erinnere mich, es war eine gefährliche Zeit. Viele Frauen wurden gegen ihren Willen geschwängert. Einige aus unserem Dorf wurden rekrutiert und dabei ging es schließlich nur um Frankreich und England mit ihren Verbündeten. Ein Krieg um die Kolonien mit denen wir absolut gar nichts zu tun hatten. Wir Dörfler waren wieder einmal die Leidtragenden. Wie immer.»

«Na komm die Pause ist vorbei, bis heute Mittag, dann können wir ja noch weiter in alten Erinnerungen schwelgen.»

 

Coffent = Leichtbier

 

 

 

Um halb neun ging es weiter mit dem Schneiden des Roggen. Die nächste Pause kam dann um elf Uhr, als die Kirchturmglocke erneut läutete.

 

Die Sommersonne prallte inzwischen auf die Menschen unbarmherzig nieder. Die Temperatur war schon zu dieser frühen Mittagszeit auf dreißig Grad hochgeschnellt. In der folgenden langen Mittagspause gingen alle zum Gutshof. Es gab für jeden Handdienstler ein achtel Speck, Sauerkraut und Erbsen. Ein Stück Brot und ein Stück Käse. Um dreizehn Uhr mußten die Arbeiter wieder auf dem Feld sein, dann war die Mittagspause beendet. Der Weg vom Feld bis zum Gut und wieder zurück betrug eine Stunde, daher war die eigentliche Mittagspause nur eine Stunde lang.

 

Es wurde jetzt weiter geschnitten die einen arbeiteten mit einer Sense die anderen mit Sicheln je nach mitgebrachtem Werkzeug. Wieder andere klaubten das geschnittene vom Boden und brachten es auf einen bereitstehenden Wagen. Die mit den Sicheln nahmen die Halme büschelweise und schnitten sie dann ab. Wobei diese Büschel dann direkt in bereitgestellte Körbe geworfen wurden. Um sechzehn Uhr wurde dann die "halb abend brodt" auf dem Feld eingenommen. Nach der Pause um sechzehn Uhr dreißig, wurde noch einmal bis achtzehn Uhr gearbeitet, dann war endlich Feierabend. Der nächste Tag würde dann gleich ablaufen, wobei die Handdienstpflichtigen keinen Anspruch mehr auf Speck hatten.

 

Johann und sein Sohn, machten sich auf den fast einstündigen Heimweg.

«Nun mein Sohn wie geht es dir ?»

«Schlecht Vater mein Rücken, er schmerzt fürchterlich.»

«Schau dir die Alten an, keiner hat Schmerzen alle laufen guten Mutes nach Hause, was hast du also falsch gemacht, überlege.»

«Ich weiß es nicht, ich habe wie immer geschnitten.»

«Siehst du das ist es, du hast wie immer geschnitten also wie zu Hause auf unserem eigenen Feld! Das ist der Fehler. Wir arbeiten hier zwangsweise, also arbeiten wir erheblich langsamer. Wir müssen zwei Tage Dienst ableisten, es ist dabei völlig egal ob du einen halben Morgen erntest oder anderthalb. Die zwei Tage mußt du so oder so ableisten. Wenn du dieses System einmal verstanden hast klappt es ganz ausgezeichnet.» Johann lachte.

«Du darfst natürlich nicht zu auffällig, langsam arbeiten, aber dich verausgaben brauchst du wirklich nicht. Es gibt aber natürlich auch Ausnahmen, beim Tageslohnverdienst da bekommst du deinen Lohn für eine bestimmte Menge an Arbeit. Da kannst du dich dann sputen, bei der Haferernte schafft ein Mann einen ganzen Morgen an einem Tag. Alles klar?! Denk Morgen daran!»

 

 

 

 

 

 

 

 

Sie erreichten um neunzehn Uhr ihr Haus und wurden vom Rest der Familie herzlich begrüßt. Das Abendessen hatten Sie ja schon eingenommen und wissend das die Dienstpflichtigen etwas bekommen hatten, hatte auch die restliche Familie wie immer um achtzehn Uhr gegessen.

 

«Wie war die Ernte auf unserem Feld?» Fragte Johann seinen zweitältesten.

«Wir sind fertig, einschließlich dreschen und Stroh machen, das Korn braucht nur noch zum Müller gebracht zu werden.»

«Das ist schön, dann haben wir das Wetter ja wunderbar ausgenutzt. Unser Verwandter Johann Christian hat mich übrigens gebeten ob ich nicht zwei von euch, ihm leihweise für das Roggen schneiden ausleihen kann. Er meint das Wetter schlägt morgen Abend um, ein heftiges Gewitter mit starken Windböen, die uns das Korn von den Halmen reißen sollen. Und eins kann man ja sagen seine Wetter vorhersage Künste waren nie schlecht. Ich denke wir sollten ihm helfen. Wie wäre es mit dir und Hans Henrich? Er sagt er zahlt und es gibt freies Essen.»

«Ja warum nicht, soll ich noch rüber laufen und ihm Bescheid geben ?»

«Ja das wäre gut, mein Sohn.»

«Dann bis gleich.»

 

Die kleinen Kinder wurden zu Bett geschickt, natürlich wieder mit den entsprechenden Protesten, bis Johann seine Stimme erhob, ein sich wiederholendes Spektakel. Dann nahm er die Hausbibel und ging mit seiner Frau hinters Haus. Dort befand sich ein kleiner, bunter, mit lustigen Sommerblumen angelegter Garten, in dem eine hölzernen Bank stand, auf der sich die beiden Eheleute niederließen. Johann nahm die Bibel und las seiner Frau laut daraus vor und sie erfreuten sich gemeinsam an den Bildern in ihrem einzigen Buch.

 

Christina Magdalena, Johanns Ehefrau bedauerte es immer wieder das sie nicht lesen konnte, aber ihr Vater hatte es nicht für nötig befunden, eine Schulbildung für ein Mädchen zu verschwenden. Auch ein Teil ihrer eigenen Kinder konnte nicht lesen oder schreiben. Ihr Mann hatte nicht das Geld um alle seine Kinder in die Schule zu schicken, so hatte er der Begabung nach entschieden wer zur Schule gehen sollte und wer nicht. So geschehen im August des Jahres 1770.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Ende des vierten Kapitels


zurück zur Übersicht